Wo ist die Parthe und was macht einen modernen Stadtpark aus?
Eine Studie von Inga Kerber im Gespräch
Essay von Kenneth Anders
als Rückblick auf die 6. Parthelandküche am 15.09.2017
Die Pläne Leberecht Migges für den Leipziger Mariannenpark sind über 100 Jahre alt. Wenn wir sie heute betrachten, liegen nicht nur einzelne gestalterische Ideen eines Planers auf der Hand. In den geplanten Anlagen und ihren Namen schwingt zugleich eine gesellschaftliche Vision des Stadtparks für das zwanzigste Jahrhundert mit. Der Mariannenpark war als Volkspark angelegt, er sollte den Menschen Chancen auf Gesundheit und Geselligkeit verschaffen. Diese eng mit der Emanzipation der Arbeiterklasse verbundene Idee ging auch mit neuen Spielregeln für das Geschehen im Park einher. Die Rasenflächen waren zum Betreten da – deshalb trägt die größte Fläche den Namen „Tummelwiese“. Der Teich geht über einen offensichtlich zum Planschen angelegten „Wat-Teich“ in einen Gesellschaftsplatz über (später gab es an anderer Stelle ein gern genutztes Planschbecken). Eine Fußball-Spielwiese und ein so genannter Vereins-Rasen dienten dem Sport. Kleinkinderspielplätze und sogar ein Rodelberg bringen zum Ausdruck, dass an viele Gruppen der Gesellschaft gedacht wurde – an Große und Kleine, an Spaziergänger und Sportler, an miteinander organisierte und an einzelne Bürger. Die eher repräsentierenden Parkformen wie der Staudengarten schmücken diese Funktionen aus und geben ihnen Halt und Form.
So oft dieses Konzept in den Jahren auch verändert wurde, die Grundidee, dass der Mariannenpark ein Raum für alle sein soll, in dem sich die Menschen physisch und psychisch anders erfahren können als in den industriellen Wohn- und Arbeitswelten, ist bis heute erkennbar. Dem politischen System der DDR geschuldete Funktionen wie der als Appellplatz angelegte Ernst-Thälmann-Ehrenhain kamen hinzu, aber der Mariannenpark blieb doch ein Volkspark, der dazu einlud, bevölkert zu werden. Das lässt sich auch im Jahre 2017 noch problemlos erkennen.
Aufgrund seines inzwischen stolzen Alters hat der Park nunmehr auch an Vegetationsdichte und -fülle gewonnen, sodass er an vielen Stellen einen organischen und quasinatürlichen Eindruck auf seine Besucher macht – auch wenn in Wirklichkeit ein immenser Pflegeaufwand hinter dieser Wirkung steckt. Man kann es ganz einfach zusammenfassen: Der Mariannenpark ist schön und was an ihm zu verbessern wäre, kann und muss auf einem hohen, bereits gegebenen Niveau überlegt werden.
Insofern ist es kein Wunder, dass die derzeit im Auftrag der Stadt Leipzig realisierte Aktualisierung eines Parkpflegewerks zunächst einmal genau an diesen wertvollen Aspekten anschließt. Der Mariannenpark ist mit gutem Grund ein Kulturdenkmal. Eine planerische Bearbeitung hat jene Merkmale in Augenschein zu nehmen, die ihn so wertvoll machen. Daraus leiten sich die Fragen für seine zukünftige Bewirtschaftung ab: Sind die verschiedenen, einst mit Bedacht angelegten Parkarchitekturen noch erkennbar? Gibt es einzelne Anlagen, die einer Abwägung von Wert und Aufwand bedürfen? Hat das Wachstum der Gehölze zu veränderten Raumstrukturen geführt, die man entweder korrigieren oder akzeptieren bzw. neu gestalten muss? Sind die einzelnen Ausstattungselemente intakt?
Mit dieser leicht zu verlängernden Agenda hat ein Freiraumplaner zunächst alle Hände voll zu tun, denn er muss nicht nur eine Bestandsaufnahme im Archiv machen, sondern sich zugleich das archivalische Wissen über den Park erschließen, um diesen in allen Einzelheiten lesen und bewerten zu können. Und dabei könnte man es auch belassen. Das Parkpflegewerk als eine Aktualisierung, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Der Forschungsverbund stadt PARTHE land wollte dennoch einen etwas größeren Bogen schlagen – wenn auch zunächst nur im Gespräch. Dabei standen zwei Fragen im Mittelpunkt. Erstens: Wenn man ohne übertriebene Emphase von Migges Entwurf für den Mariannenpark als einem Volkspark für das 20. Jahrhundert sprechen kann, was ist dann die Idee eines Parks für unsere Gegenwart und Zukunft? Wie stellen wir uns die modernen Stadtbürger vor, welche Bedürfnisse tragen sie in die Parks ein und welche Funktionen des Parks sind für unser Gemeinwesen wichtig? Dabei geht es nicht nur um die individuellen Vorstellungen der Bürger, sich hier vielleicht eine zusätzliche Bank und dort einen Spielplatz zu wünschen, es geht auch umgekehrt um die Idee der offenen Gesellschaft und ihren Niederschlag im Stadtpark: Was sollte man von den Bürgern wollen, mit so einem Park, welches Verhalten will man fördern, welches eher nicht? Heute agieren die Menschen in gänzlich anderen Arbeitswelten, die Fabrik wurde in der Regel vom Büro abgelöst, die Lebensstile haben sich ausdifferenziert. Muss das nicht auch Auswirkungen auf die Parks und ihre Funktionalität haben? Oder ist ein Park als attraktiver städtischer Grünraum im Wesentlichen von allgemeiner menschlicher Bedeutung – sozusagen anthropologisch verbrieft?
Um dieser Frage nachzugehen, haben wir Inga Kerber gebeten, eine fotografische Studie anzustellen, die dem heutigen Geschehen im Park nachspürt. Sie hat sich dabei erfreulicherweise nicht auf das fotografische Medium beschränkt, sondern auch das Gespräch zu den Parkbesuchern gesucht. Warum sind Sie hier, wie oft kommen Sie, was suchen Sie im Park? In einer beiläufigen und freundlichen Art entstand so im Zusammenhang mit den Fotografien ein Zugang, der beredter ist als manche wissenschaftliche Befragung per Fragebogen. Inga Kerber erkundete atmosphärisch und kommunikativ, sie legte ihre Arbeit als Spurensuche an, die auch dort nicht Halt macht, wo keine Menschen im Bild sind, stattdessen Tiere, Müll, gepflanzte Parkkultur und eigenmächtige Sukzession der Natur.
Zweitens ging es um die Bedeutung des Parks als Teil der Landschaft. Als deren Elemente ragen sie in ihrer Attraktivität geradezu heraus, aber nehmen sie umgekehrt auch Aspekte der Landschaft in sich auf? Der Park würde somit zu einem Verdichtungsraum für die Kulturlandschaft, er müsste in seiner Gestaltung naturräumliche Grundbedingungen, standorttypische Gehölze und prägende Gestaltformen aufgreifen. Dadurch käme dem Park eine Schlüsselrolle in der Kulturlandschaftsentwicklung zu: was hier ästhetisch gelingt und Gestalt annimmt, könnte für die Menschen eines viel größeren Raums eine gemeinsame Idee von der Besonderheit der geteilten Landschaft stiften. Der Mariannenpark liegt nicht nur ganz in der Nähe der Parthe, er ist auch Teil seiner Aue. Welche Möglichkeiten bietet er, eine Idee der Kulturlandschaft der Parthenaue mitten in der Leipziger Innenstadt zu etablieren? Die damit verbundenen Chancen im Stadt-(Um)land-Kontext wären immens.
Im Rahmen einer „Parthelandküche“, einem Veranstaltungsformat, bei dem über Fragen des Kulturlandschaftsmanagements gesprochen und zugleich „landschaftsnah“ gegessen werden soll, sind wir diesen Fragen nachgegangen. Wenige Meter vom Mariannenpark entfernt, in der so genannten „krudebude“, stellten Mitarbeiterinnen des Landschaftsarchitekturbüros Franz ihre derzeitige Arbeit am Parkpflegekonzept vor, Inga Kerber präsentierte ihre fotografische Arbeit, interessierte Bürger fragten nach und artikulierten ihre Sichtweise auf den Park und Vertreter des Amtes für Stadtgrün formulierten ihre brennenden Fragen, die sich vor allem auf eine Gewichtung der für die Parkpflege eingesetzten Mittel beziehen. Anschließend fanden sich die Teilnehmer an einer langen Kaffeetafel im Park ein, von wo aus sie schließlich einen ausgedehnten Spaziergang durch den Park unternahmen, um die diskutierten Punkte en Detail zu erkunden. Und was ist das Ergebnis? Gehen wir entlang der beiden aufgeführten Fragen vor und schauen, welche Aussagen zu ihnen getroffen wurden.
Was die Idee eines heutigen Stadtparks anbetrifft, scheint es gegenwärtig sehr schwer, überhaupt eine griffige Sprache zu finden. Ein einst gebrauchter Begriff wie „Volksgesundung“ klingt heute nicht mehr richtig, an seine Stelle tritt aber nunmehr höchstens ein nüchterner Terminus wie „Naherholung“. In der Diskussion fiel auf, dass die Frage nach der „Idee des gegenwärtigen Stadtparks“ nicht einmal ohne weiteres verständlich war. Stattdessen wurde immer wieder auf die von den Bürgern selbst gehegten und bei ihnen erhobenen Bedürfnisse verwiesen, auf die man selbstverständlich Rücksicht nehmen müsse. Die gesellschaftliche Vision aber von einem Zusammenleben der Stadtbürger, die sich im Park ausdrücken sollte, blieb seltsam schüchtern. Es liegt nahe, diese Beobachtung auf unsere allgemeine gesellschaftliche Situation zu übertragen. Es geht uns inzwischen so gut, dass wir nicht einmal mehr Worte für die Perspektiven und Einsichten haben, aus denen die Fülle unseres Lebens einst gewachsen ist. Mit der Not sind wir auch der Sprache verlustig gegangen. Das ist, wie man es dreht und wendet, ein gefährlicher Zustand.
Und die Arbeiten von Inga Kerber, die ja gezielt nicht auf Besucherwünsche sondern auf die tatsächlichen Aneignungen des Parks zielten? Was können sie zur Beantwortung der Frage nach dem idealen Stadtpark des 21. Jahrhunderts beitragen?
Schauen wir zuerst auf die Bilder. Wir sehen alte und junge Menschen, Bierflaschen und Fußbälle, Fahrräder und Hunde. Wir sehen Menschen, die ersichtlich neu in Leipzig sind und solche, die wahrscheinlich schon lange hier leben. Viele Menschen lieben es, zu lagern, gemeinsam irgendwo eine Decke auszubreiten und sich von der Sonne kitzeln zu lassen. Ältere Menschen suchen die Parkbänke. Wer nicht mehr gut zu Fuß ist, hat im Park alle Zeit der Welt für sein Gehtempo, sei es mit dem Stock oder mit dem Rollator. Viele sind zum Joggen im Park, ebenso gibt es Platz für die ersten Fahrversuche der Kinder mit dem Roller. Bücher sind oft dabei, auch Schnaps und Tabak. Es scheint Platz für vieles zu geben. Die Graffitis werden weggeguckt. Entscheidend ist der Frieden, der über allem liegt.
In den Gesprächen bestätigen sich diese Bilder. Man arrangiert sich. Die alten denken an ihr Leben und nehmen langsam Abschied, die jungen wollen mal für sich sein oder miteinander Zeit verbringen. Alte Sachsen lehnen das Fotografiertwerden eher ab, mit den jungen Syrern dagegen kommt die Fotografin leicht ins Gespräch. Ein alter Mann würde sich wünschen, dass es mehr Begegnung, Austausch und Gespräch zwischen den verschiedenen Gruppen geben sollte, er beklagt eine gewisse „Rudelbildung“.
Diese Aussage ist interessant, denn sie verweist erneut auf die Frage nach den gesellschaftlichen Ansprüchen an einen Stadtpark. Natürlich ist es vollkommen in Ordnung, wenn sich die Menschen in den Parks ihre Nischen suchen. Das Bild, das sich aus der Studie von Inga Kerber ergibt, ist das eines gelingenden und gelassenen gesellschaftlichen Arrangements. Man lässt sich in Ruhe, man sucht seins, man ist draußen, in der Öffentlichkeit, und doch für sich und in Ruhe. Das ist gut.
Aber wenn in einer Weiterentwicklung des Parkkonzepts aus dieser Beobachtung nun der Schluss gezogen wird, zukünftig mehr Nischen einzurichten, um dem Bedürfnis nach Rückzug und Fürsichsein zu entsprechen, so muss man doch umgekehrt auch nach der Integrationsfunktion des Parks fragen. Läge es nicht gerade im gesellschaftlichen Interesse, eine Balance zwischen beidem zu gestalten? Wie sähe so etwas aus, wie könnte man die Begegnung und das einander Wahrnehmen landschaftsarchitektonisch formatieren? Natürlich hat der Mariannenpark bereits jetzt beides, die offene und miteinander zuteilende Rasenfläche und die Nische am Gehölz. Trotzdem hat es Auswirkungen auf die konkrete planerische Gestaltung, ob solche Wechselwirkungen gezielt konzipiert werden oder einfach nur stattfinden. Allein sein und zusammen sein: An dieser Stelle könnte man anschließen.
Und wie steht es mit dem Park als Teil der Landschaft? Da fischte die Runde leider im Trüben. Zu weit ist der Mariannenpark aus seinem landschaftlichen Kontext herausgefallen, womit er mit Sicherheit den Normalfall des Stadtparks bildet. In Bezug auf ihren Parkcharakter eher hybride Räume wie der Leipziger Auwald sind da erheblich leichter auf ihre landschaftliche Logik hin zu befragen. Der interessante Gedanke, dass der Park für eine Kulturlandschaft das sein könnte, was die Wildnis-Kernzone für das Großschutzgebiet sein soll, ließ sich in der Runde kaum verfolgen.
Das hat natürlich viel mit dem Park selbst zu tun, mit seiner durch eine Kleingartenanlage abgeriegelten Stellung zur Parthe und seiner Entstehungsgeschichte, in der die Zugehörigkeit zur Parthenaue kaum eine Rolle spielte. Auf den Punkt hat es da wohl erneut die Befragung von Inga Kerber gebracht, in diesem Falle über den Gartenzaun:
Wo ist denn die Parthe? Wissen sie wie ich da hinkomme?
Nu, da vorne – aber ran kommen sie da nich!
Ach so, na wo und wie komme ich denn da ran?
Na da müssen se da ganz außen rum, dann da rechts und dann… Also der kürzere Weg wäre natürlich, sie gehen hier kurz wieder raus, und dann zum Schwimmbad, da gibt’s den Partheberg, da können sie sie auch sehen.
Besser kann man das Problem eigentlich nicht ausdrücken.